Kürzlich bin ich bei der üblichen Onlinestöberei über ein Buch gestolpert, von dem ich vorher noch nie gehört hatte und irgendwie hat es mich total angesprochen. Manchmal habe ich so einen Riecher, was bestimmte Bücher angeht und das war hier definitiv der Fall. Also habe ich nicht lange überlegt und zugeschlagen. Frei nach dem Motto kleckern nicht klotzen, habe ich nicht nur eins, sondern gleich zwei Bücher der Autorin bestellt.
Es geht um Ulli Reichmanns "Wege zur Freundschaft" und ihr neueres Buch "Sei mein Scout" (das ich zugegebenermaßen vor allem deshalb gekauft habe, weils so schön aussah).
Ich habe noch nie verstanden, warum sich Menschen einen Jagdhund zulegen und es sich dann zur Lebensaufgabe machen, ihm das Jagen abzugewöhnen. Für mich ist das nicht nur eine Vergeudung von Zeit und Energie und alles andere als beziehungsfördernd, sondern auch irgendwie "unfair". Nimmt man dem Hund nicht genau das, was er am meisten liebt?! Ganz besonderes bei den Basenjis, an die ich ja nun mal mein Herz verloren habe.
Was wir Europäer unter Jagdhunden verstehen, sind JagdGEBRAUCHShunde, die gezüchtet wurden, um den Menschen bei der Jagd zu unterstützen. Basenjis hingegen sind Urhunde, die nicht klassisch gezüchtet wurden, sondern sich evolutionär zu dem entwickelt haben, was sie noch heute sind. Sie haben sich den Eingeborenengesellschaften in Zentralafrika aus freien Stücken angeschlossen, um mit ihnen gemeinsam zu jagen und den eigenen Jagderfolg zu vergrößern. Man jagt gemeinsam (die Basenjis hetzen das Wild und treiben es in die von den Menschen aufgespannten Netze) und teilt dann die Beute. Das sagt auch so ziemlich alles aus, was man über das Selbstverständnis eines Basenjis wissen muss. Einem Basenji das jagen abgewöhnen?? Viel Spaß! Basenjis sind zum laufen und zum hetzen gemacht. Sie sind ja durchaus bereit den Menschen mit einzubeziehen, aber ihn spannender finden, als davonrennendes Wild? Das ist in ihren Genen nicht vorgesehen. Und wer bin ich, ihnen das verbieten zu wollen, was ihr ultimativer Lebenszweck ist?
Für uns gibt es Freilauf also nur zu nicht verhandelbaren Bedingungen (nicht im Wald und in besonders wildreichen Gegenden, nicht in der Dämmerung, nur in gut überschaubaren Gebieten abseits von befahrenen Straßen und immer nur zum Spielen und Toben, zum weitergehen, kommt die Leine wieder dran) und ich versuche, möglichst regelmäßig mit ihnen zur Rennbahn zu fahren, wo sie ihre Leidenschaft dann mal so richtig ausleben können, ohne dass deswegen ein Wildtier zu Schaden kommt. Akiro ist die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Er darf inzwischen fast überall frei laufen und ist absolut verlässlich abrufbar. Bei den jungen Wilden sieht das natürlich ganz anders aus ;-)
Ich liebe meine mit allen Sinnen jagenden Jäger, aber natürlich nerven sie mich auch manchmal - oder sind mir peinlich (wenn Chandu ein Reh - oder noch schlimmer ein Eichhörnchen - sieht, aber nicht hinterher kann, schreit er vor Frust, und zwar lautstark!). Und natürlich habe ich die Jagdpassion meiner vier auch schon so manches mal verflucht.
Ich hatte gehofft, in Ulli Reichmanns Buch vielleicht einen anderen Zugang zum Thema zu bekommen, mich aber natürlich auch darauf eingestellt, dass nicht alles für Basenjis umsetzbar sein würde.
Den Einstieg fand ich ganz interessant - Ulli erzählt von ihren Hunden und ihrer eigenen Geschichte und stellt uns verschiedene Jagdtypen vor.
So richtig hatte sie mich dann aber in Kapitel 2 (Jagdtraining).
"Bei gemeinsamen AKtivitäten sind Blicke, die Hunde uns zuwerfen, hauptsächlich Fragen. "Wie geht es weiter?" zum Beispiel, oder "Was hältst du davon?". Diese Fragen nicht zu beantworten, ist nicht nur ignorant, sondern auch der Grund dafür, dass Hunde irgendwann aufhören zu fragen und Alleingänge starten. Ich weiß nicht, wie oft ich den Satz: 'Der Hund interessiert sich für alles andere, nur nicht für mich beim Spazierengehen.' gehört habe. Ich kann dazu dann immer sagen:
'Ja, wer hat denn damit angefangen??' "
Diese Sichtweise sprach mir einfach total aus der Seele.
Warum gehen wir mit unseren Hunden spazieren? Machen wir das nicht FÜR unsere Hunde? Warum ignorieren wir dann ihre Bedürfnisse? Der Hund richtet sein ganzes Leben nach uns aus. Ich finde ja, wir sind es ihm schuldig, uns auch mal in seine Welt zu begeben, soweit uns das möglich ist. Ich habe mal gelesen "Der Hund lebt zwar zeitgleich, aber dennoch in einer ganz anderen Welt als wir." und das ist irgendwie hängen geblieben.
Unsere Hunde wissen nicht, dass wir nicht das selbe riechen und fühlen können wie sie. Sie merken aber, dass uns nicht die gleichen Dinge interessieren. Selbst die tollste Spur und der tollste Duft im Wind lassen uns völlig kalt. Wie frustrierend muss das sein?!
Genau hier setzt Ulli an. Sie beschreibt ihren Umgang mit ihren jagenden Hunden und das ist faszinierend. Ulli geht nämlich gemeinsam mit ihren Hunden jagen, ohne dabei Wildtiere zu beeinträchtigen oder gar zu töten. Sie verfolgt Spuren, lässt auch mal Löcher graben und sich Wildtiere anzeigen, um sie beobachten. Alles beginnt damit, dass sie sich interessiert für die Dinge, die ihre Hunde finden.
Ich war schon immer ein großer Fan davon, meine Hunde auch mal Hunde sein zu lassen. Sie dürfen sich schmutzig machen, sie dürfen auch mal so lange schnuppern wie sie wollen, in die Ferne starren oder Löcher graben. Ich habe einiges von dem, was Ulli propagiert, bereits intuitiv so gemacht. Aber ich wollte dem Ganzen eine echte Chance geben und habe mich quasi durch das Buch hindurch trainiert.
Ich habe uns ein eigenes "Revier" gesucht, in dem wir von nun an unsere "Abenteuerspaziergänge" machen. Hier führe ich die Bande ausschließlich an der 15m-Schleppleine (nur Akiro darf gänzlich frei laufen) und laufe hier nur, wenn ich wirklich Zeit habe. Wir sind gut und gerne zwei bis drei Stunden unterwegs, schaffen aber keine 10 km, sondern vielleicht einmal nur 2. Die haben es dann aber in sich.
Zunächst einmal habe ich jede Kontaktaufnahme während des Spaziergangs bestätigt (was in unserem Fall kein Blick, sondern ein Zucken der Ohren in meine Richtung ist), interessante Spuren habe ich mir nun mit meinen Hunden gemeinsam angesehen und sie fürs schnuppern belohnt, statt einfach abzuwarten bis sie fertig sind. Haben sie im Unterholz etwas gehört, habe ich sie bestätigt und belohnt, mich hingehockt und mit ihnen gemeinsam geschaut. Wenn ich ein Mauseloch gesehen habe oder den vermeintlichen Eingang eines Kaninchenbaus habe ich ihn den Hunden gezeigt und sie haben ihn sich angesehen, auch wenn meine Funde nie so interessant waren, wie ihre. Aber sie wissen es trotzdem zu schätzen. Auch der eigene Blick öffnet sich so viel mehr für den Wald um mich herum. Nach einem Abenteuerspaziergang sind nicht nur die Hunde ausgelastet, glücklich und platt - ich bin es auch.
Zugegeben fühlen sich manche von Ullis Tipps nicht nur seltsam, sondern auch falsch an und ich würde sie nur umsetzen, wenn ich mit den Hunden allein bin. Sie anzufeuern bei Wildsichtung, wirkt auf den unwissenden Beobachter sicher mehr als nur befremdlich und der gute Ruf ist schnell dahin. Aber Ulli hat einfach Recht, wenn sie dem Leser die Frage stellt, welcher Hund (der ohnehin schon im Griff seines Instinkts ist und gerade nicht für einen Rückruf empfänglich) lieber zurück kommt - der, dessen Mensch ihn ganz großartig findet und seine Freude teilt, oder der, dessen Mensch vor Wut und Frust brodelt und nicht das geringste Verständnis für die neuerliche Entgleisung seines erziehungsresistenten Flegels hat... Und ganz ehrlich? Es funktioniert! Wenn vor uns ein Reh den Weg kreuzt, rasten meine Hunde natürlich aus und wollen hinterher. Ich schimpfe aber nicht, das hören die dann sowieso nicht. Ich freue mich. Die Schlepp ist eh dran und sie können nicht hinterher. Chandu kommt zurückgerannt und "erzählt" mir von dem Reh und wie gerne er hinterher möchte. Ich bestätige ihn und er steht bebend neben mir und wir schauen gemeinsam, wo es hin ist. Anschließend wird die Stelle ausgiebig beschnüffelt und vielleicht folgen wir der Spur sogar ein Stück. Danach gibt es ne Pause und ein kurzes Leckerchensuchspiel und weiter gehts.
Meine Hunde sind nicht die größten Nasentiere, jagen am liebstn auf Sicht oder nach Gehör, deshalb sind die Tipps zum Spuren jagen (wo kam, das Tier her, das wir gesehen haben) für uns nur bedingt umsetzbar. Aber die Qualität unserer Spaziergänge hat extrem zugenommen und tatsächlich beziehen meine vier mich viel mehr mit ein. Auch im Alltag macht sich das absolut positiv bemerkbar und wir sind unfassbarer Weise noch näher zusammengerückt.
Und es ist so faszinierend, was man im Wald plötzlich alles entdeckt! Vielleicht auch manchmal etwas morbide, aber nicht minder spannend. Ivy hat letztens nur ein paar Meter vom Weg etwas interessantes gefunden, sich aber nicht recht getraut, hinterher zu gehen. Sie war etwas unsicher. Ich habe sie bestätig bin mitgegangen und wir haben eine alte Rissstelle gefunden, an der ein kleines Reh gerissen worden ist. Fellreste und Knochen. Von dem Kieferknochen musste ich ein Foto machen und zu Hause googlen, ob das tatsächlich einer ist. Spooky, aber so cool. Und meine kleine Ivy war so unglaublich stolz auf sich und ihren Fund, dass sie noch tagelang gefühlt zwei Meter groß war.
Ähnlich gings mir mit den kopulierenden Nacktschnecken - das erinnerte eher an einen SciFi-Film und war ein bisschen eklig, aber auch hier: soooo faszinierend. Die Steinmarderfamilie, die plötzlich im Wald auf uns zukam, war dafür dann umso niedlicher...