Autor Clive Wynne geht in diesem Buch der Frage nach, was es ist, dass den Hund so besonders macht, wo der Grund dafür liegt, dass er zum besten Freund des Menschen wurde. Und das tut er als Wissenschaftler, der er nun mal ist. Er stellt die These auf, dass Ursache hierfür keine besondere Intelligenzleistung ist, wie dies viele Wissenschaftler vor ihm annahmen, sondern tatsächlich schlicht und ergreifend auf Grund der Emotion "Liebe" möglich wurde. Diese These untersucht er mit vielen Fallbeispielen und Studien, durch die er uns in seinem Buch führt. Er geht der Sache auf den Grund und erläutert, wie "Liebe" überhaupt entsteht und auch welche genetischen Dispositionen es möglicherweise dafür gibt, dass eine solche speziesübergreifende Liebe wie zwischen Hund und Mensch möglich wurde. Er setzt sich mit der Domestikationsgeschichte genauso auseinander wie mit dem in den USA tatsächlich mittlerweile üblichen (wenn man ausreichend Geld dafür hat) Klonen von geliebten Haustieren oder der Situation in Tierheimen und dem früheren und aktuellen Stand der Wolfsforschungen.
Ich muss gestehen, ich bin etwas ambivalent, was die Bewertung dieses Buches angeht. Auf der einen Seite habe ich wirklich viel gelernt beim Lesen. Andererseits hätte ich dabei doch deutlich mehr Spaß haben können.
Und ehrlich gesagt, ging mir die sehr amerikanische Sichtweise des Autors hier und da gehörig auf den Keks... Auch seine Ausführungen zu den tausenden im Tierheim lebenden Hunden in den USA waren zwar durchaus interessant, aber für mich als Europäerin nur bedingt nachvollziehbar. Das liegt aber nun einmal in der Natur der Sache. Clive Wynne ist zwar gebürtiger Brite, lebt und arbeitet aber nun einmal in den USA und natürlich beurteilt er vorrangig die Situation in Amerika, die eben seiner Lebenswirklichkeit entspricht. Ich gebe ihm natürlich recht, was die überwiegend unhaltbare Situation in den amerikanischen Tierheimen angeht, aber die Rückschlüsse, die er aus vielen seiner Beobachtungen zieht, sind meiner Meinung nach nicht allgemeinverbindlich bzw. können sie dies nicht sein, weil sie ortsspezifisch sind und sich nicht einfach so übertragen lassen.
Ein weiterer Kritikpunkt ist, wie er das Wesen der Hunde beschreibt. Diese immer freundlichen und dem Menschen nahezu alles verzeihenden Speichellecker sind nun mal eben nicht meine Lebenswirklichkeit. An manchen Stellen ist es für mich als Basenjihalterin nur schwer zu ertragen, wie er die Bindungsneigung nicht nur zu vertrauten, sondern auch zu fremden Menschen beschreibt, denn bei meinen Hunden entspricht das schlicht nicht den Tatsachen.
Es fiel mir tatsächlich schwer, mich durch das Buch hindurchzubeißen und es hat mich auch einige Zeit gekostet. Aber ich bin dennoch froh durchgehalten zu haben. Denn bei aller Kritik, habe ich wirklich viel gelernt und gestaunt! Besonders die "Entdeckung" eines Gens, das es im Übrigen auch beim Menschen gibt, das besondere Freundlichkeit und Bindungsbereitschaft bedingt, hat mich sehr fasziniert. Ebenso war es super spannend zu erfahren, wie genau denn solche Studien ablaufen und ausgewertet werden. Und die Geschichte über die geklonten Terrier die mit ihrer genetisch identischen Mutter (Schwester?)zusammenleben, hat mich gleichermaßen abgestoßen wie fasziniert. Dass das tatsächlich legal so praktiziert wird, war mir überhaupt nicht klar.
Ein Abschnitt des Buches hatte es mir zunächst sehr angetan. Clive Wynne schreibt hier darüber, dass "keine Selektion der Welt auf die richtigen Gene (...) falsche Erfahrungen im frühen Leben aufwiegen" können (Seite 194) und deutet zum Beispiel auch an, wie wichtig es ist, dass Welpen in der frühen Prägephase möglichst viel Zeit mit liebevollen Menscheneltern verbringen, um später innige Bindungen zu Menschen eingehen zu können. Er schlägt dabei ein Brücke vom Zähmen von Wildtieren zu unseren Haushunden.
"Während sowohl Wölfe als auch Löwe sozial auf Menschen geprägt werden können, ist das Zeitfenster in dem dies möglich ist, nur sehr kurz, und wenn die Beziehung von Bestand sein soll, muss der Kontakt zum Menschen maximal sein." (Seite 197)
Ich war drauf und dran, das Buch total zu feiern und vielen Züchterkollegen zu empfehlen und selbst bei Bedarf oft aus diesen Abschnitten zu zitieren. Leider kommt dann aber der Hammer, der sich zwar in einigen Studien sicher als wahr erwiesen haben mag, aber einfach ein falsches Bild beim Leser hinterlässt. Mir ist klar, dass es um wissenschaftliche Fakten und evidenzbasierte Forschungsergebnisse geht, dennoch hat der Autor ja auch eine Verantwortung, auf der er anderer Stelle sehr beharrt und sich sehr klar und richtig positioniert.
"Aber im Unterschied zu diesen anderen Mitgliedern der Ordnung Carnivoren sind Hunde leichter zu zähmen, Wenn ein Hundewelpe auch nur in der Nähe von Menschen geboren wird und aufwächst, wird er ausreichende soziale Bande knüpfen, um Menschen gegenüber für den Rest seines Lebens freundlich zu sein. Selbst Straßenhunde , die nicht mit Menschen in Häusern leben, lernen beim Aufwachsen, Menschen als Begleiter zu betrachten, wenn diese sich in ihren ersten Lebensmonaten so nahe bei ihnen aufhalten, dass sie sie hören, sehen und riechen können. So stark ist die Prädisposition des Hundes zur Bildung starker emotionaler Bindungen - zu lieben und Liebe zu suchen." (Seite 197)
Mir ist durchaus klar, dass es an dieser Stelle nur um die Fähigkeit eines Hundes geht, so zu empfinden, aber nicht darum, dass die schiere örtliche Nähe ausreichend ist, um Menschen tatsächlich zu lieben und ihnen zu vertrauen. Aber DAS hätte genau an dieser Stelle erläutert und eingeschränkt gehört. Denn so entsteht der Eindruck, dass "Zücherarbeit" nur darin bestehen muss, Welpen in menschlicher Nähe aufwachsen zu lassen und nicht etwa darin, tatsächlich mit ihnen zu interagieren, zu lieben, zu lernen, geliebt zu werden, Geborgenheit und Vertrauen zu empfinden. Das öffnet Tür und Tor für genau die unsachgemäße Aufzucht schutzbedürftiger Welpen, die dann später als verhaltensauffällige Hunde in den kritisierten Tierheimen landen!
Für dieses Buch gibt es von mir daher eine BEDINGTE Leseempfehlung.
Erstens sollte man Interesse an wissenschaftlicher Literatur mitbringen, denn obwohl es durchaus zugänglich formuliert ist, ist Unterhaltungsliteratur eben was ganz anderes! Und man sollte meiner Meinung nach selbst einiges Vorwissen mitbringen, was Aufzucht und Verhalten sowie Beziehung und Bindung zwischen Mensch und Hund angeht, um einige der Ergebnisse richtig einordnen zu können. Außerdem sollte man eben wissen, dass viele Ansichten und Einsichten sehr das Leben in amerikanischen Verhältnissen reflektieren und nicht eins zu eins auf unseren alltäglichen Umgang mit unseren Hunden und unseren Alltag an sich übertragbar sind. Liest man das Buch unter dieser Prämisse gibt es viel spannendes, überraschendes und nützliches mitzunehmen.