von Maren Rausch
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16. Dezember 2021
In vielen Köpfen löst die Bezeichnung eines Hundes als bestem Freund eines Menschen die üblichen Vermenschlichungsvorurteile aus. Oder das Bild von Menschen mit sozialen Defiziten, die sich in der Welt unter ihresgleichen nicht zurechtfinden. Beides gibt es sicherlich. Aber beides hat in meinen Augen wenig bis gar nichts mit echter Freundschaft und tief empfundener Liebe zu tun. Echte Freundschaft ist nämlich selbstlos. Man möchte, dass der Freund glücklich ist und mag ihn wegen seiner individuellen Ansichten und seiner ganz eigenen speziellen Sicht auf die Welt, sogar oder gerade weil sie eine andere ist als die eigene. Mein Freund soll keine Kopie meiner Selbst sein und keine Marionette, die sich von mir lenken lässt. Von meinen Freunden erwarte ich liebevolles, aber echtes Feedback, nicht dass sie mir nach dem Mund reden. Und mit genau unter dieser Prämisse sollte man meiner bescheidenen Meinung nach auch die Beziehung zu seinem Hund betrachten. Sich selbst weniger wichtig nehmen und seine eigenen Bedürfnisse nicht über die Bedürfnisse seines Hundes stellen. Ja, meine Hunde sind meine allerbesten Freunde. Jeder von ihnen auf seine ganz eigene Art. Und das ist nicht gleichbedeutend damit, dass ich keine menschlichen Freunde hätte (oder eine beste Freundin, hab dich lieb, Kerstin *knutscher*). Außerdem ist mir sehr bewusst, dass meine Hunde keine Menschen sind. Und auch gerade deshalb bin ich so gerne mit ihnen befreundet. Will man einen menschlichen besten Freund, dann muss man sich eben mit einem Menschen anfreunden. Will ich aber einen Hund zum Freund, muss ich ihn als Hund wertschätzen und mir Mühe geben, seine Sprache zu lernen und seine Bedürfnisse zu erkennen. Genau um diese Wertschätzung und Respektierung von hündischen Bedürfnissen soll es heute gehen. Ich setze mich viel mit diesem Thema auseinander, aber die Initialzündung für diesen Blogartikel findet sich in einem Buch, das ich kürzlich gelesen habe. Schon im Vorwort ihres Buches „Hunde achtsam führen“ holt mich Maria Rehberger nämlich genau an dem eben beschriebenen Punkt ab: „Freundschaft mit dem Hund heißt für mich, ihn in all seiner Andersartigkeit zu respektieren, seine Bedürfnisse zu kennen und zu achten, ihm zur Seite zu stehen, wenn er es braucht, ihn achtsam zu führen, wo es nötig ist, sich zu kümmern und sich um ihn zu sorgen, ihm Halt und Geborgenheit zu geben – aber auch den Freiraum, den er braucht, um seine Persönlichkeit entfalten zu können. Ja, ich schreibe hier wirklich und ganz im Ernst Entfaltung der Persönlichkeit, denn dass Hunde (…) Individuen mit ganz eigenen Charakteren und Vorstellungen vom Leben sind, das ist inzwischen zweifelsfrei nachgewiesen.“ (Zitat aus „Hunde achtsam führen“, Seite 11) In unserer Gesellschaft ist es total üblich, dass Hunde sich anzupassen haben an unseren Alltag, an unsere Bedürfnisse, an menschliches Leben und menschliche Höflichkeitsformen. In gewisser Weise ist dies sicherlich auch notwendig. Denn unsere Menschenwelt ist nicht für Hunde gemacht und wir sind es ihnen schuldig sie durch diesen Dschungel zu führen und sie zu (be-)schützen. Und ein glückliches Zusammenleben braucht auch Regeln. Regeln und Routinen bieten Sicherheit und wir dürfen auch nicht vergessen, dass die persönliche Freiheit eines jeden einzelnen da endet, da wo sie die persönliche Freiheit eines anderen einschränkt. Wenn man diese Grundsätze beachtet, muss es aber auch gut sein! Ein Hund muss nicht funktionieren, er muss nicht immer folgen und nur tun, was ich will, wann ich es will. Oft genug ist es Menschen unangenehm, wenn Hunde Dinge tun, über die die breite Masse die Nase rümpft. Ich finde, wir sollten dann aber nicht einfach mit dem Strom mitschwimmen ohne auch nur im Ansatz zu hinterfragen, ob WIR dieses Verhalten denn überhaupt als störend empfinden und ob dieses Verhalten für unseren Hund nicht vielleicht etwas vollkommen natürliches ist, das nicht verändert gehört! Chandu zum Beispiel braucht eine große Individualdistanz zu anderen Hunden, um nicht auszurasten, insbesondere dann, wenn ich mit den Hunden zu viert als Gruppe unterwegs bin. Muss ich daran arbeiten? Arbeiten im Sinne von: er hat die anderen Hunde nicht zu beachten und sich vollständig an mir zu orientieren? Nö, muss ich nicht! Muss ich dafür sorgen, dass es händelbar bleibt, dass niemand zu Schaden kommt und wir andere nicht beeinträchtigen? Ja, das muss ich. Chandu braucht seine Distanz, aber er ist auch furchtbar neugierig und möchte einfach gucken. Wenn ich ihn ausschimpfe, steigere ich sein Erregungslevel nur noch mehr, wenn ich ihn mit Zwang mit mir mitziehe und bloß nicht zu dem anderen Hund hinschauen lasse, trete ich sein Bedürfnis neugierig und aufmerksam zu sein (die Eigenschaften, die ich doch so sehr an ihm liebe) mit Füßen! Also halten wir – wann immer möglich – einen so großen Abstand, dass er sich sicher fühlt und nicht glaubt, die anderen beschützen zu müssen und ich lasse ihn schauen. Oft hocke ich mich zu ihm und wir schauen gemeinsam, teilen das Erlebnis miteinander. Und siehe da: Nun bezieht er mich mit ein. Blickt zu mir, wedelt und schaut wieder zu dem fremden Hund (oder Menschen oder Pferd oder Traktor oder was immer seine Aufmerksamkeit gerade fesselt) und winselt aufgeregt freudig vor sich hin und dass alles ganz ohne in der Leine zu stehen und „dem Feind hinterherzugeifern“. Ich bestätige ihn nicht in aggressivem Verhalten. Ich lasse aggressives Verhalten so gar nicht erst aufkommen. Und wenn es sich mal nicht vermeiden lässt und er ausrastet? Tja.. So what?! Auch davon geht die Welt nicht unter. Augen zu und durch und ihn zur Ruhe bringen sobald wir die akute Situation hinter uns gelassen haben. Sicher ist mir das manchmal peinlich (genauso wie, wenn er weint und schreit und an mir hochspringt, wenn er ein Reh gesehen hat). Aber eigentlich kann mir auch egal sein, was irgendwelche Leute denken oder zu wissen glauben. Ein anderes Beispiel: Inaya rollt sich liebend gern in Rasenschnitt, Mais-Silo-Resten oder Sägespänen. Ich kann gar nicht zählen, wie oft ich dafür unverständliche Blicke geerntet oder sogar (wohlgemeinte aber doch sehr übergriffige!) Erziehungsratschläge bekommen habe. Es macht sie so glücklich und es überschreitet nicht meine Ekelgrenze (was bei Fuchskacke oder „Wandererhinterlassenschaften“ natürlich ganz anders aussieht). Warum ihr denn dann den Spaß nicht einfach gönnen?! Es geht nicht darum, die Erwartungen anderer zu erfüllen, sondern darum die individuellen Bedürfnisse und Vorlieben der eigenen Hunde wertzuschätzen. „Es geht darum, mit gutem Vorbild voranzuschreiten, egal was der Rest der Gesellschaft, ja sogar der Rest der Welt davon hält.“ (Zitat aus „Hunde achtsam führen“ von Maria Rehberger, Seite 20). Egal ob es darum geht, ob die Hunde im Bett schlafen (ja tun sie), aufs Sofa dürfen (selbstverständlich dürfen sie) oder ob sie essen klauen, wenn wir vergessen es hundesicher wegzuräumen (du ahnst es schon: natürlich tun sie das!), wenn wir damit leben können, ist das völlig ok. „Ein Hund benimmt sich wie ein Hund, weil er Hundegene in sich trägt – weil er gebaut ist wie ein Hund und nicht wie etwas anderes. So einfach dieser Satz klingt: Viele Hundehalter sehen hundliches Verhalten als etwas an, das verändert werden muss, weil es nicht in ihr Weltbild passt. Und da haben wir es mit Vermenschlichung zu tun. Hunde sind keine Menschen. Sie sind uns in vielen Dingen sehr ähnlich, das kann nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen niemand mehr bestreiten, die Forschungsergebnisse weisen in eine ziemliche eindeutige Richtung. Aber sie sind in vielen Dingen eben auch ganz anders als wir und diese Unterschiede nicht nur zu tolerieren und akzeptieren, sondern sie als unfassbare Bereicherungen unseres eigenen Lebens, Denkens und Handelns zu begreifen, macht für mich das Zusammenleben und die Freundschaft zu Hunden aus.“ (Zitat aus „Hunde achtsam führen“ Seite 43) Wir sind es unseren Hunden einfach schuldig, hin und wieder einen Perspektivwechsel vorzunehmen. In dem Buch „Wie Hunde ihre Menschen spiegeln – Das Geheimnis glücklicher Hunde und ihrer Halter“ lädt uns die Autorin Karin Müller zu einem solchen Perspektivwechsel ein, der sehr deutlich macht, wie sehr sich die Realität des Hundes in einer Alltagssituation von der unseren unterscheiden kann. „Haben Sie sich schon einmal überlegt, wie es sich anfühlen muss, wenn man ein Zwerg ist inmitten von Riesen? Stellen Sie sich vor, Sie wären 20 vielleicht 3o Zentimeter groß und müssten in einem engen, überfüllten Aufzug fahren – vollgestopft mit Kinderwagen, Aktentaschenträgern, Einkaufstütenschleppern, Kindern mit tropfender Eiscreme in der Hand und einer besorgten Mutter, die Sie mit bösem Blick zu fixieren versucht. Der Rest der Mannschaft ignoriert Sie, um nicht zu sagen , übersieht Sie. Ständig laufen Sie Gefahr, dass jemand Sie anrempelt oder mit klobig beschuhten Riesenfüßen auf ihre zarten Pfoten tritt. Diese Menschen sehen sie wirklich nicht! Für sie sind Sie unsichtbar! (Abgesehen von der besagten Helikopterübermutter, die Ihnen nicht ein einziges Tröpfchen Eis gönnt.) Dauernd bekommen Sie irgendwelche Knuffs von Tüten, Beinen oder Koffern. Dazu kommt ein Lärm- und Geruchspegel, der sich gewaschen hat und Ihre zarten Ohren und die feine Nase bis zur Schmerzgrenze überreizt – weil alle in dieser engen Box viel zu viel Aftershave und Parfüm benutzen. Die Fahrstuhlmusik dröhnt wie in einer Großraumdisco. Und als wäre das noch nicht genug- um den Hals tragen Sie einen Lederriemen, der Ihnen bei jeder (falschen) Bewegung schmerzhaft gegen die Kehle ruckt… Horror, oder?!“ (Zitat aus „Wie Hunde ihre Menschen spiegeln – Das Geheimnis glücklicher Hunde und ihrer Halter“ von Karin Müller). Und dieses Gedankenexperiment trifft nur die äußeren Lebensumstände des Hundes in einer von Menschen gemachten Welt. Unsere Hunde sind in allem was sie tun und erleben zu 100% von uns abhängig. Ich erlaube mir an dieser Stelle noch einmal eine Passage aus „Hunde achtsam führen“ zu stibitzen, weil ich sie einfach so treffend finde: „Wir entscheiden: - wo und wie sie leben - was sie wann fressen und in welchen Mengen - wann sie sich lösen können - wen sie treffen - wohin sie gehen - wie viel sie sich am Tag bewegen - ob es notwendig ist, mit ihnen zum Tierarzt zu gehen und ob eine Behandlung erfolgt oder nicht - ob sie mit Artgenossen, anderen Tieren oder Kindern zusammenleben - wie lange sie täglich alleine bleiben - was sie lernen dürfen oder müssen - womit sie sich beschäftigen dürfen - wie viel Interaktion sie mit uns erleben und bestimmt noch einiges mehr. All diese Dinge grenzen den Hund ein, nehmen ihm seine Selbstbestimmtheit quasi komplett.“ (Zitat aus „Hunde achtsam führen“ von Maria Rehberger, Seite 34) Ich weiß nicht, wie es dir geht, wenn du diese Zeilen liest und mal wirklich ehrlich auf dich wirken lässt. Ich habe mich im ersten Moment einfach schlecht gefühlt. Aber das ist nicht, warum ich diesen Artikel schreibe. Ich möchte einfach, dass wir alle begreifen, wie einfach es ist, unseren Hunden ein glückliches Leben zu schenken und dabei selbst auch glücklich zu sein. Frei von vorgefassten Meinungen und „Das macht man aber anders“-Argumenten von außen. Wenn dein Hund, dein Freund ist, so wie meine Hunde meine Freunde sind, dann wünscht du dir einfach so viel mehr für euer gemeinsames Leben und das ist überhaupt nicht schwer! Wir sind nur alle manchmal etwas betriebsblind, wenn wir durch unseren Alltag hetzen. Und wir können uns manchmal nicht vor dem Druck schützen, den scheinbar althergebrachtes Hundeexpertenwissen auf uns ausübt. Manchmal sind wir uns dieses Drucks auch gar nicht bewusst. "Althergebrachtes Hundeexpertenwisssen" ist eben genau das: es ist alt! Und einige noch immer allerorts verbreitete "Wahrheiten" können an vielen, vielen Stellen von aktuellen Studien und Forschungsergebnissen zweifelsfrei widerlegt werden. Manchmal lohnt sich die Mühe, Trainingsmethoden oder Erziehungstipps, die das eigene Bauchgefühl nicht so recht nachvollziehen kann, auf den Prüfstand zu stellen. Es gibt jede Menge sehr aktuelle Fachbücher dazu. Viele Studien, viel Wissenschaftliches, aber auch viel, das leicht verständlich und zugänglich ist. So wie zum Beispiel die in diesem Artikel zitierten Bücher. Die Frage, die ich mir im Alltag immer wieder stelle, ist die, was für eine Hundehalterin ich sein möchte? Wie sehen mich meine Hunde? Sind sie glücklich? Ich liebe meine Hunde, WEIL sie Hunde sind, nicht OBWOHL sie Hunde sind. Und deswegen bin ich nur zu gerne bereit, sie auch mal Hund sein zu lassen. Es ist mir ein Bedürfnis! Ich breche mir keinen Zacken aus der Krone, wenn meine Hunde mal entscheiden dürfen, ob wir links oder rechts lang durch den Wald gehen oder wenn ich sie an interessanten Gerüchen so lange schnuppern lasse, wie sie das möchten. Sie leben in einer Welt der Düfte, die mir nicht zugänglich ist, für sie aber elementar ist. Natürlich sollen sie in Ruhe ihre Zeitung lesen. An Regentagen, wenn sie am liebsten nur müde auf der Couch vor sich hinschmusen und auf besseres Wetter warten wollen, ist es zwar meine Verantwortung trotzdem mit ihnen rauszugehen. Ich kann mich aber auch dazu entscheiden, nur eine Runde zu drehen, die sie ihre Geschäfte erledigen lässt und ihnen ansonsten mal eine Pause zugestehen. Genauso gerne lasse ich mich aber von ihrer Energie und Albernheit anstecken und tolle mit ihnen durchs Haus oder über Feld und Flur. Sie sind keine Verpflichtung. Sie sind eine Bereicherung. Ich verbringe meine Zeit gerne mit ihnen und wir haben einen Riesenspaß zusammen! Und wenn sie mir Gesicht und Hände abschlecken oder ihr Köpfchen an meine Schulter schmiegen, wenn wir zusammen auf dem Sofa liegen, womöglich alle vier auf mir drauf, dann ist das weder ekelhaft noch Zeichen von Kontrollverlust und „Dominanzausübung,“ es ist ein Zeichen gegenseitiger Wertschätzung und tief empfundener Liebe! Ich wünsche mir von meinem besten Freund, dem Hund, eine Beziehung auf Augenhöhe! Das bedeutet nicht, dass ich meine Hunde nicht erziehe oder dass es keine Regeln gibt. Maria Rehberger benutzt in diesem Zusammenhang den Ausdruck „ gleichwürdig “, der deutlich macht, was ich meine. „Gleichwürdig bedeutet, dass die Bedürfnisse, Empfindungen usw. des anderen genauso viel wert sind wie die eigenen. Gleichwürdig bedeutet nicht gleiche Fähigkeiten und Kompetenzen Die Einschätzung von Gefahren und damit einhergehend die Pflicht und die Verantwortung, den Hund vor Verhaltensweisen zu schützen, die ihm oder anderen gefährlich werden können, übernehmen wir als Halter ein Hundeleben lang.“ (Zitat aus „Hunde achtsam führen“ Seite 17 ). Genau wie Frau Rehberger wünsche auch ich mir für uns alle, dass wir achtsam, respektvoll und vor allem FREUNDLICH mit unseren Hunden umgehen. Und dass wir diese besondere und tiefe speziesübergreifende Liebe als kostbar und schützenswert ansehen, keinesfalls als etwas für das man sich irgendwie schämen oder rechtfertigen müsste!