Dass eine präventive Kastration vom Tierschutzgesetz eigentlich nicht abgesegnet ist, habe ich bereits in meinem ersten Beitrag zum Thema erläutert. Dennoch ist genau das leider nach wie vor Gang und Gäbe und es hält sich hartnäckig in den Köpfen, dass man seinen Hund vor Krebs und auch anderen Erkrankungen schützen kann, wenn man ihn kastriert. Besonders bei Hündinnen wird Kastration häufig noch immer mit Gesundheitsvorsorge gleichgesetzt. Aber stimmt das auch?
Eines ist klar, was nicht mehr da ist, kann auch nicht mehr erkranken. Anders gesagt: fehlt die Gebärmutter, ist Gebärmutterkrebs natürlich ausgeschlossen.
Ich möchte dir hier einige Statisken zum Krebsrisiko von Rüden und Hündinnen, kastriert und unkastriert, mit auf den Weg geben. Wegen der besseren Lesbarkeit habe ich darauf verzichtet, die jeweils zu Grunde liegenden Studien im Text zu erwähnen. Wenn du es aber gerne genau wissen möchtest, schreib mir doch kurz, dann reiche ich das selbstverständlich nach.
Von Hündinnenhaltern besonders gefürchtet sind die Gesäugetumore (Mammatumore).
Zwei bis 20 von 1.000 Hündinnen entwickeln Mammatumore, ca. 50 % dieser Gesäugetumore sind bösartig.
Hündinnen, die vor der ersten Läufigkeit kastriert werden, entwickeln nur zu 0,5% Mammatumoren. Je später die Kastration durchgeführt wird, desto höher ist auch das Risiko für die Tumorbildung. Mit einer Kastration nach der zweiten Läufigkeit kann jedoch keine weitere Risikominimierung erreicht werden. Trotzdem kann mit einer späten Kastration das Risiko, an gutartigen Mammatumoren zu erkranken, gesenkt werden. Die "späte" Kastration (also nach der zweiten Läufigkeit) hat allerdings keinen Einfluss mehr auf die Entwicklung bösartiger Mammatumoren.
Nur 0,5%? Das ist doch großartig!
Zur Klarstellung: wir sprechen hier nicht von 0,5% aller Hündinnen, sondern von 0,5% der erkrankten Hündinnen. Um also bei obigem Beispiel zu bleiben: nicht 0,5 % von 1.000 Hündinnen, sondern 0,5% von 2 bis zwanzig Hündinnen (wobei es sich bei diesen Erkrankungen zu ca. 50% um gutartige Tumore handelt).
Das Tumorrisiko für einen Mammatumor liegt für deine unkastrierte Hündin bei ungefähr 0,02 bis 0,002%. Dieses Risiko senkst du durch eine Kastration auf 0,5 % von 0,02% (0,002 %).
Genetische Prädispositionen, der Einfluss von Übergewicht und auch vorausgegangener Hormonbehandlungen führen statistisch gesehen zu einem deutlich höheren Krebsrisiko als seine Hündin intakt zu lassen...
Dass eine Kastration Mammatumorrisiken senkt, will ich überhaupt nicht bestreiten. Aber ich denke, es ist wichtig, sich die propagierten Zahlen genauer anzusehen. Denn erst dann erkennst du, um wie viele (wenige) Hündinnen es sich bei dieser Aussage handelt.
Diese ungemeine Senkung (bitte verzeih, den ironischen Unterton) des Krebsrisikos erreichst du allerdings nur bei einer Frühkastration
, spätestens nach der ersten Läufigkeit.
Als erwachsen schätzt man eine Hündin etwa nach Vollendung des dritten vollständigen Läufigkeitszyklus ein (Rüden im gleichen Alter). Wir sprechen hier ausschließlich von der körperlichen Reife. Die geistige Reife wird je nach Rasse und Individualität der einzelnen Hundepersönlichkeit erst im Alter von 3 bis 4 Jahren erreicht.
Eine Frühkastration hat noch ganz andere Folgen als die reine Unfruchtbarmachung deines Hundes, egal ob Männlein oder Weiblein.
Die Sexualhormone haben beispielsweise großen Einfluss auf den Epiphysenfugenschluss. Die Epiphysenfuge ist der Teil des Knochens in dem das Längenwachstum stattfindet. Fallen die Sexualhormone weg, verlängert sich die Zeit des Knochenwachstums. Muskeln, das Herz-Kreislauf- und auch das Immunsystem kommen da dann aber nicht mehr mit. Das Herz wächst nicht so lange wie die Knochen, ist also zu klein und zu schwach für die Größe des Hundes. Der große Hund bleibt schlaksig, weil er nicht so gut Muskeln aufbauen kann ohne Sexualhormome und, wie wir schon gelernt haben, er neigt eher zu Übergewicht. Knochen zu groß und zu schwach, Herz und Muskeln zu schwach, Hund zu schwer, Gelenke maßlos überlastet. Folge sind degenerative Gelenkserkrankungen wie HD, ED, Patellaluxation, Kreuzbandrisse und natürlich Arthrosen im Alter.
Durch den Wegfall der Sexualhormone friert man den Hund auch in seinem Entwicklungsstadium ein. Kastriert man in der Pubertät, bleibt der Hund also auf diesem Stand und wird nicht richtig erwachsen.
Das ist doch schön, dann bleibt er immer verspielt und tapsig!
Tja, das ist aber nur eine Seite der Medaille.
In der Pubertät wird im Hirn einmal so richtig aufgeräumt. Wenig genutzte Leitungen werden gekappt, viel befahrene Nervenbahnen ausgebaut und gefestigt. Emotionale Grenzen werden ausgelotet und ein gutes Mittelmaß gefunden (darum sind Teenager oft himmelhochjauchzend und dann gleich wieder zu Tode betrübt). Ohne das Ausloten dieser Grenzen, gibt es kein gutes Mittelmaß und der Hund bleibt emotional instabil (kurze Zündschnur, Überängstlichkeit, nicht vorhandene Frustrationstoleranz, Aggressivität, Übermut usw.). Auch die Konzentrationsfähigkeit bleibt unausgereift.
Der schlaksige Teenagergang? Da sind wir wieder beim Längenwachstum der Knochen. Die Knochen wachsen nicht gleichmäßig, der Teenie hat gar keine Chance gerade und koordiniert zu laufen, weil sein Bewegungsapparat noch unausgewogen ist. Pfuscht eine Kastration in diese Entwicklung hinein, wird sich das aller Wahrscheinlichkeit auch nicht mehr ändern.
Egal was ich euch zum Thema Risiken noch so erzählen werde, eine Frühkastration ist niemals eine gute Idee und sollte nur in absoluten medizinischen Notfällen vorgenommen werden!!
Besonders bedenklich finde ich, dass einige Züchter in ihren Welpenkaufverträgen eine Frühkastration verlangen, damit die Hunde nicht unberechtigt und unregistriert zur Zucht genutzt werden können. In Deutschland ist diese Praktik Gott sei Dank noch nicht so verbreitet. In den USA beispielsweise ist das Normalität. Viele Welpen werden sogar erst kastriert abgegeben. Allein bei dem allgemeinen Sprachgebrauch rollen sich mir da die Zehennägel hoch. Man spricht nicht mehr von "neutured" (kastriert), sondern von "fixed", als würde man einen Hund (ein HundeBABY!) reparieren, indem man ihm Organe entfernt.
So, einmal tief durchatmen....
So liberal meine Ansichten auch eigentlich sein mögen (jeder wie er will und wie es für ihn und seine Lebensumstände passt), beim Thema Frühkastration unter dem Deckmantel des Tierwohls gibt es für mich einfach keine zwei Meinungen.
Nun aber zurück zum Thema:
Neben den Gesäugetumoren kann es bei Hündinnen natürlich auch zur Entwicklung von Uterustumoren kommen (Gebärmutterkrebs). Das Risiko für diese Erkrankung ist relativ gering. Statistisch gesehen sind etwa 0,4% aller Krebserkrankungen von Hündinnen Uterustumore. Durch Kastration (bei Total-OP) fällt dieses Risiko natürlich weg, denn die Gebärmutter ist ja nicht mehr da.
Hodentumore beim Rüden stellen etwa 0,03% bis 2,5 % aller Krebserkrankungen beim Rüden dar. Auch hier gilt natürlich, was nicht mehr da ist, kann auch nicht mehr krankwerden.
Prostatatumore sind bei Rüden ebenfalls sehr selten. Das Risiko einer Erkrankung lässt sich durch Kastration nicht verringern.
Was man keinesfalls unterschätzen sollte, ist, dass durch eine Kastration nicht nur bestimmte Krebsrisiken verringert werden, sondern auch andere Krebsarten wiederum wahrscheinlicher gemacht werden können. Leider handelt es sich also oft schlicht um eine Verlagerung der Risiken.
Bei folgenden Tumorarten erhöht sich das Risiko nach Kastrationen
(bei Hündinnen um das 6,5-fache, bei Rüden um das 3,6-fache):
- Hämangiosarkom
(ein Blutgefäßtumor, bei Hunden in etwa der Hälfte der Fälle in der Milz lokalisiert, zu knapp einem Viertel im rechten Herzvorhof, zu 14 % in der Unterhaut und zu 10 % in der Leber)
- Lymphome (Lymphdrüsenkrebs)
- Prostatakarzinome
- Mastzelltumoren (Hautkrebs)
- Herztumore
- Osteosarkome (Knochenkrebs)
- Übergangskarzinome der Blase (Blasenkrebs).
Neben den Krebserkrankungen macht man sich als Hündinnenhalter auch oft Sorgen wegen Gebärmutterentzündungen (Pyometra), die nicht nur wirklich unangenehm sind, sondern auch sehr gefährlich werden können. Besonders die geschlossene Form wird oft spät erkannt und macht viele Not-OPs erforderlich, die nicht immer gut ausgehen. Eine Hündin, die zur Pyometra neigt, würde ich tatsächlich kastrieren lassen.
Insgesamt sollte man meiner Meinung nach einfach die Risiken gegeneinander abwägen. Dabei geht es auch darum, welche Interventionsmöglichkeiten es gibt, wenn eine der genannten Erkrankungen zu Tage tritt. Eine Pyometra (insbesondere eine früh erkannte) ist deutlich leichter und erfolgversprechender zu behandeln als ein Osteosarkom...
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So, das wars jetzt im Großen und Ganzen was ich zur Kastration zu sagen habe. Du kannst dich nun also wieder auf mehr Abwechslung in meinen Blogartikeln freuen ;-)
Lass mich doch gerne wissen, wie dir diese kleine Reihe gefallen hat und ob du gerne mehr "Reihen-Artikel" lesen würdest. Auch wenn du Themenwünsche hast, kannst du sie mir immer gerne schicken.
Dort können wir auch immer mal ganz spontan auf Fragen und Wünsche eingehen und der Austausch mit den anderen Mitgliedern ist immer sehr wertvoll.